19.9.2021, St.-Hedwigs-Kirche, Markt Berolzheim
9.10.2021, Altstädter Kirche, Erlangen
10.10.2021, Stadtkirche, Pappenheim
Am Abend, an der Schwelle zur Nacht, eröffnet sich Raum, Anspannungen loszulassen und sich auf die Sprache der Musik einzulassen. Was bewegt uns, was trägt uns durch das Dunkel in einen neuen Morgen? Ungewiss ist die Zukunft und ihre Bewältigung. Die Probleme vergangener Epochen waren nicht weniger bedrohlich als heute. Die Pandemie gibt uns eine Ahnung davon, was in noch größerem Ausmaß unsere Vorfahren durchlebt haben. Wie sie dies bewältigt haben, vermittelt die Kunst bis in die heutige Zeit. Musik ist wie eine verbindende Sprache, die Unaussprechliches zu teilen vermag.
Der Amadeus-Chor lädt mit seinen ausgewählten musikalischen Kostbarkeiten ein, dem Trost und Halt, den musikalische Landschaften dieser unterschiedlicher Epochen bieten, nachzuspüren.
Eröffnet wird die Klangreise mit ‚Pater noster‘ von Jakob Gallus (1550-1591): eine doppelchörige Vertonung des lateinischen Vaterunsers. ‚So sollt ihr beten‘, empfahl Jesus seinen Freunden (Lk.11,2). In alle Sprachen übersetzt, verbindet dieses Gebet Menschen weltumspannend und sucht Verankerung in Gott. Gallus war ein Meister der Renaissance. In dieser Zeit wurde Mehrchörigkeit entwickelt, das Spiel mit Räumen, getrennter Aufstellung, Kontrasten und Klangfülle. Gallus verband in seinem reichhaltigen Werk niederländische und venezianische Einflüsse. Auch die Corona-bedingte breite Aufstellung des Chores wird eine spannende Neuerkundung des Raumes. Gallus ‚Pater noster‘ mündet in prächtige Klangfülle (‚Amen‘). Zeitgenössischem Erleben ist die Erfahrung von Zweifel oft näher. Und so wird dieses schlicht prächtige Vertrauensgebet inhaltlich vertieft durch die Motette ‚Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn’. Lange war deren Urheberschaft umstritten, heute wird sie weithin dem jungen Johann Sebastian Bach zugeschrieben. Er vertonte hier, wie insistierend immer wiederkehrend, eine Bitte, die einer dramatischen alttestamentlichen Szene entnommen ist: Jakobs nächtlichem Kampf mit dem Engel am Fluss Jabbok (Gen.32,27). Jakob, der nach erschlichenem Segen für lange Zeit auf der Flucht, in der Fremde war, kehrt zurück. Wie wird sein Bruder ihm begegnen? Jakob begibt sich allein an den Fluss und dort ringt er die ganze Nacht hindurch mit einer Gestalt, Gott, Engel oder Dämon. Erst im Morgengrauen, an der Hüfte verletzt, hat er den Kampf überstanden. Bachs Motette zeigt kaum mehr etwas von der archaischen Bedrohlichkeit dieser albtraumhaften Szene. Wiederholt der Chor anfangs zart die inständige Bitte (Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn…), so bildet sie lebhafter im 2. Teil ein Geflecht, auf das Bach die vom Sopran gesungene ruhige Choralzeile setzt: „Weil du mein Gott und Vater bist, dein Kind wirst du verlassen nicht…“
Herzstück des Programms ist die doppelchörige Messe in Es-Dur von Josef Gabriel Rheinberger (1839-1901): Kyrie, Gloria, Credo, Sanctus, Benedictus und Agnus Dei. Es ist die einzige achtstimmige unter Rheinbergers 18 Messvertonungen und nach Otto Ursprung die schönste reine Vokalmesse des 19.Jahrhunderts. Sie zeichnet sich durch die Verbindung verschiedener Kompositionsstile aus: Elemente der frühen Vokalpolyphonie stoßen auf empfindsame, ausdrucksvolle Ausgestaltung des Mess-Textes. Dadurch gelingt es Rheinberger, in den einzelnen Schritten (Kyrie, Gloria, Credo, Sanctus, Benedictus, Agnus Dei) dem Hörer die Spannung zwischen Schwere und Geborgenheit und das Geheimnis, wie das Lamm Gottes (agnus dei) die große Hoffnung auf Frieden auslöst, unmittelbar nahezubringen.
Und schließlich erklingen im letzten Chorblock Abendlieder der Romantik, sie sind unter anderen auch auf der jüngsten CD des Amadeus-Chores zu hören: Carl Reinecke (1824-1910), op.85,5, vertonte ein Abendgebet von Franz Rosenberger, Moritz Vogel (1846-1922) ein Gedicht von Hugo von Hofmannsthal für Frauenchor und Friedrich Silcher (1789-1860) einen Text nur für Männerstimmen. Stimmungsvoll setzte Carl Ecker (1813-1879) in ‚Stimmen der Nacht‘, op.4,3 ein Gedicht von Joseph von Eichendorff in Töne um. Mit Albert Beckers (1834-1899) genial vertontem: ‚Bleibe, Abend will es werden’ schließt das Konzert und dieses starke Stück gibt dem Konzert auch die Überschrift! Der Text von Franz Albrecht Muth (1839-1890) erinnert an die Ostergeschichte im Lukasevangelium, die Bitte der Emmausjünger. Voll Kraft, Dramatik und Sanftheit werden die Fragen menschlicher Existenz ausgelotet – hören Sie selbst und seien Sie herzlich willkommen!
Friederike Scharrer